Neue Zürcher Zeitung reviews Leif Ove’s recital in Lucerne
“In Andsnes’ Programm überlagerten sich zwei thematische Leitideen: einerseits ein Schubert-Schwerpunkt, dessen nachgelassene «Drei Klavierstücke» D 946 sinnfällig mit den doppelbödigen sechs Schubert-Reminiszenzen «Idyll und Abgrund» von Jörg Widmann eingeleitet wurden; andererseits wiederum ein Fokus auf Frédéric Chopin, dem hier indes ein völlig unerwartetes Gegenüber beigesellt wird.
“Andsnes hat nämlich seine jüngste Platte (Sony, CD 88985408502) der Klaviermusik von Jean Sibelius gewidmet – Werke, die der grosse finnische Komponist zeitlebens quasi nebenbei als Handgelenksübungen schrieb, die aber weit mehr sind als das. Sibelius gibt darin nicht weniger eine nordische Antwort auf Chopin, indem er dessen klangsinnlichen Klavierstil mit skandinavischen Idiomen à la Grieg, Gade und Sinding verbindet. Das Ergebnis ist eine eingängige, doch niemals leichtgewichtige Musik, die selbst im begrenzten Rahmen von Charakterstücken wie «Impromptu» und «Romance» immer den weiten Atem des Sinfonikers spüren lassen.
“Im Zugabenteil seines ebenfalls mit Ovationen bedachten Konzerts stellt Andsnes eine dieser Preziosen sogar neben die g-Moll-Ballade von Chopin, was die für mitteleuropäische Ohren völlig ungewohnten und überraschenden Bezüge packend deutlich werden lässt. Ohnehin hat Andsnes einen sehr bezwingenden Zugang zu Chopin, der demjenigen von Trifonov nicht nachsteht. Andsnes ist kein «Tüftler» wie der Russe, bei dem man kaum mehr von einem «Anschlag» reden mag, da Trifonov jeden Ton, aufs Genaueste kalkuliert, gleichsam aus den Tasten zu «ziehen» scheint; bei Andsnes hört man da ungleich mehr Bodenhaftung, dafür ist er noch bezwingender als musikalischer Erzähler, wie er abschliessend mit der verteufelt schwierigen 4. Ballade von Chopin unter Beweis stellt. Was für ein grossartiges Rémis zweier Ausnahmepianisten!”
Source: Neue Zürcher Zeitung